Der Holunder
Holunder tut Wunder
heißt es in der Mythe vom Hollerbusch, der zu nichts nutze war,
wie er selbst klagte, bevor Frau Holle ihn bei einer ihrer winterlichen
Luftfahrten ganz besonders segnete mit duftenden, wohlschmeckenden,
heilkräftigen weißen Blüten und
dunkelvioletten Beeren,
dunkelgrünen Blättern und einer heilwirksamen Rinde.
Er
siedelte sich oft in der Nähe des Hauses an und wurde wegen
seiner
Heilkraft so verehrt, daß die Vorübergehenden den
Hut vor
ihm zogen, um ihre Ehrerbietung zu zeigen. Sein Holz durfte nicht
willkürlich, sondern nur dann geschlagen werden, wenn er um
Erlaubnis gefragt worden war.
Speisen und Getränke
Karl Paetow:
Holunder tut Wunder
Schwarzer Holunder
Foto: Wikipedia von Willow
Schwarzer Holunder
a: Fruchtbeeren
Holunder tut Wunder
s begab sich aber im
Verlauf der Zwölf Nächte,
daß sich Frau Holle rüstete, wie. immer in diesen
erregenden Zeiten der Jahreswende, das Menschenland zu befahren. So kam
sie auch über eine verschneite Heide. Da war es Weihnachten im
ganzen Land. Und sie horchte auf den Gesang der Bienen im hohlen Baum,
auf den Atem der Tiere, die unter der Schneedecke schliefen oder in
warmen Höhlen und Küppeln der Heimat. Sie lauschte
auf die Stimme der Steine und auf den strömenden Saft unter
der Borke von Busch und Baum. Aller erstorbenen Blumen
Frühlingshoffnung lag ihr im Ohr. Es stand aber einsam auf der
verschneiten Heide ein kahler, stakiger Strauch. Seine Zweige knackten
zum Erbarmen im Rauhfrost der Weihnacht.
Frau Holle lieh auch seiner Klage Gehör und fragte den Busch:
"Was barmst du so?"
Da wehte es aus den brakigen Zweigen her: "O große Mutter!
All deinen Kindern hast du einen Nutzen und Sinn in den Keim gelegt.
Die Menschen brauchen die Nuß von der Hasel, die Rute der
Weide, und selbst den struppigen Ginster binden sie winters
geröstet in ihre Besen. Dem Flachs hast du gute Fasern gegeben
und allen Blumen Schönheit zur Augenweide. Nur mir hast du
weder Glanz noch Nutzen verliehen. Und selbst die ärmsten
Menschenkinder verschmähen mein mürbes Holz
für den Hausbrand."
Die Klage rührte der Weißen Frau an das Herz, und
sie lächelte: "Gut denn, weil du den Menschen so gerne hold
bist, so will ich dir selber den Namen geben, Hollerbusch sollst du von
Stund an heißen in ihrem Mund. Dazu verleihe ich dir eine
edle Kraft, die dich wert macht vor allem Gebüsch." Und sie
schenkte dem Busch die Heilkraft der Rinde, der schneeigen
Blüten und füllte ihm seine tausend Beeren mit
blutroter Arzenei.
Bei schlimmen Tagen, als Not und Krankheit die Menschen heimsuchten in
ihren Häusern, erkannten sie bald die heilenden Säfte
vom Holderstrauch. Da holten sie den verschmähten Busch in
ihre Gärten, an ihre Höfe, und alsbald war kein
Backofen mehr in den Dörfern zu finden, in dessen Schutz nicht
der Hollerbusch grünte und blühte zur Augenweide mit
seinem Segen. Die Bresthaften tranken und wurden gesund vom Trunk
seiner Säfte. Und ihre Kinder spielten im Duft seiner
schattigen Blütenteller die liebsten Reigen.
Denn sie
ahnten es wohl, er war ja Frau Holles erste Weihnachtsgabe an
alle Menschen. Und bald ging von
Mund zu Mund der weisende Spruch:
"Holunder tut Wunder."
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Karl Paetow, Holunder tut
Wunder. In: Frau
Holle: Märchen und Sagen,
S. 88 - 89
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