Der
Bär oder Todstein bei Abterode
"Dicht
östlich von Abterode steht am Hang eines kleinen
Hügels ein auffälliger Fels, der wegen seiner Gestalt
auch als 'Bär' bezeichnet wird. Sein eigentlicher und alter
Name lautet jedoch 'Todstein'. Was hat es mit diesem Stein auf sich,
und was hat er mit Frau Holle zu tun?
Der
Todstein
in
Abterode - auch Bärenstein genannt
Foto: Wikipedia - Carlos-X
"Die
schriftliche Überlieferung für den Felsen beginnt
- nach dem derzeitigen Stand der Forschung - mit dem Jahr 1737 ...
Julius Schmincke bringt ihn in seinem 1847 erschienenen Aufsatz 'Der
Holle-Mythus am Weißner' mit Frau Holle in Verbindung und
schreibt:
"Vor dem östlichen
Eingange des am Weißner gelegenen
Amtsdorfes Abterode ragt ein Fels über die
Erdoberfläche
empor, der Todtenstein genannt; er hat die
Gestalt eines
Bären und der Sage nach soll ihn Frau Holle auf
dem Daumen
vom Weißner dorthin translocirt haben. Vielleicht
wurde im Heidenthume und auch wohl später dort ein Maien- oder
Frühlingsfest gefeiert, wobei man den Winter oder den Tod
begrub; und vielleicht wäre dieß in
Verbindung zu setzen mit
dem Cultus der Frau Holle, der Göttin
der im Frühlinge wiederkehrenden Fruchtbarkeit der Erde,
besonders wenn
man erwägt, daß der Sage nach Frau
Holle diesen Stein dorthin setzte und was J. Grimm über das
Maienfest und Todaustragen
in seiner deutschen Mythologie S. 442ff. anführt."
In diesen
wenigen Worten wird schon viel gesagt: die Form des
Bären klingt an, die Sage von Frau Holle - hier nur aus einem
einzigen Satz bestehend - wird genannt, und eine Deutung mit
Quellenverweis wird auch geliefert. Man kann dem sicher zustimmen,
allenfalls noch hinzufügen, dass Frau Holle hier mit der
spielerischen Versetzung eines Felsens auf ihrem Daumen in eine Rolle
schlüpft, die mit ihrem göttlich-weiblichen Wesen
wenig zu tun zu haben scheint. Vielmehr werden solche Dinge andernorts
von Riesen oder vom Teufel berichtet. Frau Holle ist aber hier im
Umfeld des Meißners derart dominant, daß
Riesensagen gänzlich fehlen und Teufelssagen bis auf eine
Ausnahme erst in einiger Entfernung belegbar sind.
Über
das Todaustragen berichtet das Handwörterbuch
des deutschen Aberglaubens:
"Ein bei Beginn des
Frühlings, mitunter auch schon um die
Wintersonnenwende üblicher
Brauch, durch den alles
Böse,
das im
Winter seine lebensfeindliche Macht zu zeigen
schien,
aus dem Wege
geräumt werden soll. Er findet sich
namentlich
in
Süd- und Mitteldeutschland und in den von da aus
besiedelten slavischen Landschaften. Gewöhnlich wird eine Puppe aus
Stroh
oder Lappen,
der Tod
genannt, in einem kleinen Sarge,
auf dem
Arm oder auf
einer Stange unter dem Gesange
herkömmlicher
Lieder
umhergetragen und dann ins Wasser
geworfen, verbrannt
oder
vergraben."
Schmincke
geht in seiner Geschichte der Stadt Eschwege noch einmal im gleichen Sinne
auf den
Stein ein. Ein halbes Jahrhundert später führt ihn
auch Wilhelm Christian Lange kurz auf. Wilhelm Ulrich erwähnt
ihn 1920 als der Todstein,
auch Bär oder Mönch
genannt.
Letztere Bezeichnung ist sonst nicht überliefert ...
Mehr zur
volkskundlichen Überlieferung um den Todstein hat da
schon Helene Brehm beizutragen:
"In früheren Zeiten zog
das junge Volk am Schluß der
Kirmesfeier
mit Musik zum Todstein hinaus, um hier die Kirmes
in
Gestalt eines Strohmannes oder einer Flasche Schnaps zu 'begraben'.
Dabei wurde
vom Felsvorsprung am Halse des Bären von
einem
Burschen eine scherzhafte Traurrede gehalten. Der althergebrachte
Brauch des Kirmesbegrabens und des
Entzündens
des Osterfeuers
an dieser Stelle, sowie die volksmundliche Bezeichnung ,Todstein'
dürften ein
Hinweis
darauf sein, daß sich hier eine
altheidnische Opferstätte befand. Übrigens besitzt
der Bär noch einige wunderbare
Fähigkeiten:
Wenn man
ihn dreimal hintereinander umgeht,
so hat man
keinen Kopf mehr;
hört er es in Abterode elf Uhr
läuten,
so dreht er
sich dreimal herum, und fragt man ihn:
"Bär,
was machst du?",
so antwortet er: "Gar nichts".
Zwar nicht
der Winter, aber immerhin die Kirmes wurde demnach in
jüngerer Zeit noch am Todstein begraben. Eine Erinnerung an
das alte Todaustragen in vorchristlicher Zeit? Es
scheint
tatsächlich so zu sein, vor allem wegen des Strohmannes, der
ja nun kaum mit der Kirmes etwas zu tun haben dürfte. Seltsam
ist die Geschichte mit dem Verlieren des Kopfes bei dreimaliger
Umrundung; sollte sich hierin etwa doch ein Hinweis auf eine
Opferstätte verbergen, wie Helene Brehm ebenfalls annimmt ...?
Es bedarf
wohl kaum eines weiteren Beweises für die einstige
Bedeutung des Steines: Er war eine vorchristliche
Stätte, an
der im Frühjahr das Ende
des Winters und der Beginn
des
Frühjahrs - zu
Ehren von Frau Holle - zeremoniell begangen
wurde. Das Abbrennen des Osterfeuers auf der Anhöhe direkt
über dem Felsen ist ein Beleg dafür, daß
diese Tradition auch heute noch lebendig ist. Und auch sonst ist
der Bär noch in Abterode
präsent, ist doch nach ihm ein
Kräuterschnaps benannt, den man zu besonderen Gelegenheiten am
Ort erhalten kann."
Karl Kollmann, Frau Holle und das
Meißnerland S. 143 - 146
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