er
Glasmacher Henrich Kunkel aus Wickenrode stieg dem verschneiten Walde
zu, welcher den Hirschberg wie ein Silberpelz von Rauhreif
umhüllte. Der Meister war lebensbitter und traurig bis auf den
Tod. Sonst hatte er um die Weihnachtszeit die grünen
Gläschen
und Flaschen, auch einmal Spielkram und Tand, Hasen, Füchse
und
Vögel für den Weihnachtsmarkt in der Hauptstadt
geblasen. In
diesem Jahr aber hockte die Schwarze Katze in seinem Schmelzofen und
wollte vor keinem glühenden Glasfluß weichen.
Mit müden Augen schlich sich der Meister dem Waldrand zu. Er
sah
nicht das eisige Zuckerweiß und den Blitz der Kristalle auf
jedem
Halm. Er hörte auch nicht das silberne Klingeln vom
Hirschhorn,
der durch die glimmernde Eishaut brach. Alles war ja wie kaltes Glas,
er aber wollte dies gläserne Gleichnis nicht schauen. Er sah
nur
die vielen hungrigen Mäuler um seinen Tisch und den stummen
Kummer
seiner Frau. Denn der Landgraf zu Kassel hatte ein strenges Gesetz
erlassen, das allen Glasmachern verbot, ihr Holz in den
fürstlichen Wäldern zu schlagen. Wie aber sollte er
Gläser brennen, wenn es kein Holz zum Schmelzen gab? Denn vom
Glas
kam ihnen allein das täglich Brot.
So haderte er mit Gott, und die Last seiner Not drückte ihn
schier
zu Boden. Da hob sich eine mächtige Hutebuche kahl vor dem
Abend.
Von hier aus sah man das dämmernde Tal von Kassel, das
Schloß an der Fulda, in welchem der Landgraf solche
Verordnung
erlassen hatte. Aber den Sternen war man auch schon näher als
unten im Grund, wenn auch ein bleiches Wolkengrau die Lichter des
Himmels verhüllte. Und hier war der Ort, wo der Meister dem
sinnlos gewordenen Leben aufsagen wollte. Er bestieg eine wulstige
Wurzel und prüfte die Kraft des unteren Astes. Dann warf er
den
Strick darüber und knüpfte sich zitternd die
Todesschlinge.
"Glasmacher, was baumelt der Strick an dem Ast?" sprach eine Stimme.
Erschrocken warf sich Kunkel herum. Da trat eine hohe, weiße
Gestalt aus dem Baumstamm hervor.
"Willst Hand an dich legen?" fragte die Frau, "damit deine Kinder am
Hunger sterben?"
"Weil sie am Hunger sterben", stotterte er, "kein Brand, kein Glas,
kein Brot -". Aber die Elbin nestelte den Strick von dem Ast und legte
die Schlinge zu Boden.
"Da sieh hinein", befahl sie.
Der Mann gehorchte und blickte durch.das Rund der Leine wie durch ein
Fenster.
"Was siehst du?"
"Ich sehe", sagte der Glasmacher, "der ganze Berg unter mir ist
durchsichtig wie aus gegossenem Glas. Und mein Blick reicht weit in den
Abgrund, wo sich die Elemente brodelnd vermischen."
"Was siehst du oben?"
"Ich sehe", sagte der Meister, "wie alle Blumen ruhen im Grund ihrer
Wurzeln und alles Getier und Gewürm den Winterschlaf
hält in
seinen Höhlen. Da unten liegt auch in seinem Kessel eingerollt
der
dicke Dachs und blinzelt listig herauf. Zwischen den Tieren und
Elementen aber im Zwischenreich wimmelt es jetzt von Kobolden, die
fieberhaft schaffen. Die schippen und schleppen, die punzen und putzen,
ein emsiges Völkchen."
"Das sind die Seelen der Ungeborenen und der Toten", sagte die Frau.
"Sie hausen und wirken im Innern fort für die Lebenden. Aber
was
tut sich nun bei dem Volke?"
"Ich sehe, die einen schmieden edle Gesteine in funkelnde Ringe. Neue
kommen und bauen kristallene Brücken zu blühenden
Gärten. Die anderen formen helle Gefäße und
Becher aus
zartem Glasfluß, dergleichen Gestaltung ich niemals noch sah.
Auf
die klare Glaswand malen sie den Schimmelreiter mit farbigem Schmelz,
wie er den Hirsch jagt im grünen Grunde. Da laufen die
weißen Hündchen dem Schimmel unter dem Bauch und
machen
giff-gaff. Da leuchtet alles so fröhlich herauf, ach
könnt
ich bei meinen Tagen noch solche Herrlichkeiten erschaffen wie die!"
"Merk alles wohl", wies die gütige Frau, "was die da unten
formen,
dergleichen sollst du bald selber blasen und bilden. Doch sage, was tut
sich mehr?"
"Ich sehe in ungeheurer Tiefe die feurigen Wurzeln von einem steinernen
Baum. Der wächst aus dem Feuermeer herauf als ein dunkler
Stamm
und hat seine Krone aus blauem Basalt bis in die Kuppel des Berges
gereckt. In ihrem Schatten schichten sich die Kristalle von Salz und
Alaun."
"Und was erscheint nun?"
"Darunter wellt sich klaftermächtig ein braunes
Lager, das ich nicht kennen und deuten kann."
"Dies ist das Flöz", sprach die Frau, "verkommenes Holz von
gewaltigen Wäldern, die vor undenklichen Erdentagen hier gegen
dein Leid gewachsen sind. Kohle nennen es die Zwerge und brauchen es
lange schon, denn es heizt besser als Holz. Sieh hier!"
So stieß sie mir ihrem goldenen Schuh einen braunen Stein an,
den
hatte der Dachs aus seiner Höhle gerollt. "Hier ist solche
Kohle,
und dort liegt mehr. Lies alles auf, wende dich deiner Hütte
zu
und schüre ein großes Feuer an. Dann sollst du
Gläser
blasen nach meinem Willen, wie sie die Unterirdischen bilden. Denn dein
letztes Brot ist noch lange nicht gebacken."
Leise trat die Erscheinung zurück in den Baum und tauchte ein
in die Dämmerung seiner Rinde.
Da raffte Kunkel die Steine in seinen Schurz. Er wunderte sich, wie
leicht sie wogen. Aber seinem Glasofen gaben sie mehr Glut als das
Knasterholz aus dem Landgrafenwald. Schon schmolz das Glas in dem
feurigen Hafen. Mit Ungeduld tauchte der Meister sein Blasrohr ein und
blies einen glühenden Becher. Den trieb er in wundersame
Gestalt,
wie sie die Unterirdischen vorgebildet hatten. Und auch das Geheimnis
der Glasmalerei wurde ihm da in Gnaden geoffenbart.
Im Rausch seiner Freude rief der Meister nach seiner Frau und
erzählte ihr fliegenden Atems von seinen brennenden Steinen.
Aber
die Arme glaubte nicht anders, als ihr Mann hätte vor Gram und
Groll den Verstand verloren. Denn wie sollte er wohl zu Wege bringen,
mit Steinen zu heizen?
"Henrich, bedenk dich!" mahnte sie, "wie seinerzeit der Venediger hier
herumgeschürft hat. Der hat uns damals auch goldene Berge
verheißen. Aber am Ende kam uns die Brüh teurer als
die
Brocken. Denn du siehst immer nur den Speck, aber wo die Mausefalle
steht, das willst du nicht wahrhaben!"
"Wer das Ziel sieht, ist halb schon da", rief Kunkel voll Zuversicht,
öffnete die Ofenklappe und warf eine paar Steine in die
Feuerung.
Gleich schlug ihnen die bullernde Glut in die Augen, und das Glas im
Hafen schmolz glührot hin. So wurde auch sie dieses Wunders
inne,
lachte wie von Sinnen, schlug die Arme in die Luft und wirbelte durch
die Werkstatt. Dann hing sie ihrem Manne schon am Hals und
küsste
sein stoppeliges Gesicht. "Ach", rief sie, "das muß ja wahr
sein,
denn heute ist Altjahrsabend. Da kommt Frau Holle vom Meißner
herab und geht zu den Menschen. Und wo sie fährt, da wird
beschert!"
Der Blick in die Todesschlinge hatte dem Künstler die Seele
gelöst. Da schuf der Gläsner Kunkel ein neues Glas.
Wasserklare Gemäße und bilderbuchbunte Humpen
verließen die Werkstatt zu Wickenrode. Die Mädchen
begehrten
die Gläser und Pullen als Brautgeschenk für ihre
Liebsten.
Dem Landgrafen selbst, als ihm die sinnreichen Becher gebracht wurden,
erhöhten sie seine Tafelfreuden, daß er nur noch aus
solchen
Behältern den Trunk nahm. Die ganze Ritterschaft ahmte ihm
nach
und bestellte in Wickenrode ihr Trinkgeschirr, das ihnen der Meister
mit Wappensprüchen und Bildern verzierte. Das Urbild der
Unterirdischen wurde von Kunkel und seinen Gesellen erreicht. Der Ruf
seiner Kunst drang über Hessens Grenzen, und niemals erlosch
das
bildende Feuer in seiner Hütte. Denn es wurde genährt
von
Frau Holles Kohle, die Kunkels Knappen im Berge ergruben.
So war
denn
alle Not gewendet, und der Glasbläser lebte
mit seiner Familie
in
ehrlichem Wohlstand. Da gab
es nun alle Tage Ofenklatschkuchen und
Klapperei.
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Karl Paetow,
Frau Holle und der Glasbläser. In: Frau
Holle: Märchen und Sagen, S. 101 - 105
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