Im Reich der Frau Holle

Annette Rath-Beckmann
Historikerin | Matriarchatsforscherin

Die Herrin vom Rosengarten



s trug sich zu, daß einmal zur Almzeit eine Dirn beim Heu machen in der einsamen Almhütte ihres Bauern hausen mußte. Nun der Abend kam, sanken ihr die emsigen Hände müd in den Schoß, und sie ruhte vom Tagwerk aus auf dem steinernen Stuhl, der neben der Hütte im Unkraut stand. über ihr glühten und glitzten die Almspitzen der scheidenden Sonne nach, gerade als wäre die ganze Bergwand des Rosengartens ein goldenes Gemäuer. Wie nun die Dirn den angezauberten Reichtum betrachtete, gedachte sie ihrer eigenen Armut, und daß sie mit ihrem Burschen niemals zu eigen Rauch und Schmauch kommen sollte. Da seufzte sie aus Herzensgrund: "Ach Gott, seit uns die Kriegshorden alles angeschürt haben, kommen wir nimmer auf einen goldenen Zweig!"

Derartig spann sich das Mädchen in kummervolle Gedanken ein. Es schreckte sie aber ein neuer Glanz aus ihrer Versunkenheit auf. Und wie sie sich danach umwandte, zu sehen, woher ihr dies neue Leuchten gekommen wäre, da stand vor ihr eine mächtige Frau, reich und schön und über die Maßen königlich.

"Komm", sagte die Herrin gütig zur Magd, und winkte sie heran. Der Dirn fuhr die Hand an das Mieder, den freudigen Schrecken zu dämmen. Sie wischte die Tränenspur mit der Schürze aus ihren Augen und ging mit. So stiegen die beiden den glühenden Rosengarten entlang, höher und höher, und dennoch fühlte sie all ihre müde Schwere entweichen im Anstieg. Denn der Ruf war wie eine Verheißung über sie gekommen und sie entsann sich aller Geschichten von guten und strengen Gespenstern im Berge, vom König, der droben hausen soll, und seiner Gemahlin, der Herrin vom Rosengarten.

So tauchten sie ein in die Stille des Berges, die beide dunkel umfing. Dann aber standen sie im Glanz prunkender Kammern und leuchtender Säle. Silbergleich gleißten die Fliesen, und durch die kristallenen Fenster weideten ihre Augen in einem Garten voll roter Rosen. Hier wallte auch ein silberner Brunnquell, darin man die schönsten Mädchen baden sah. Saitenspiel und Gesang erfüllten die Räume mit zauberhaftem Getön.

Im Vorüber trafen sie auf dienstbare Zwerge, die schleppten sich mit wunderviel zierlichen Dingen. Auch brachten sie auf Geheiß der Herrin ein Wolleknäuel herbei. Das überreichte die Königin dem armen Mädchen und sprach: "Du magst das Knäuel ruhig nehmen. Es ist von der besten Wolle, die ich habe. Und wenn du von ihrer Herkunft schweigst, so wird auch das Garn niemals rar werden. Nun geh wacker zu, bleibe emsig und webe dein Glück!"

Die also Begabte ist dann in aller Stille zu einer alten Base gezogen, von dem Wundergarne zu weben, und wob und wirkte die feinsten Decken und Tuche. Denn das Garn ging nicht aus und hat einen Glanz gegeben, als wäre es von dem Goldenen Vließe geschoren.

Einmal, nach Feierabend, hat die Dirn noch so fleißig im Mondschein am Webstuhl gesessen. Da ist die Herrin vom Rosengarten in ihre Kammer getreten und hat ihr ein Goldgespinst zugetragen. Sie hat ihre Hände in kunstvollen Wegen durch das Gewebe geleitet und sie gelehrt, mit goldenen Ranken und Vogelbildern den Wirkstoff zu zieren. Mit diesen Kostbarkeiten ist dann ihr Bursche weit in die deutschen und welschen Lande gezogen, die edlen Stoffe in Burgen und Städten feilzubieten. über Jahr und Tag hatten die beiden Liebesleute so viel erwirkt, daß es zu eigen Rauch und Schmauch zugelangt hat. Und für das Zubrot und für ein Rößlein im Stall hat es auch noch gereicht. 

Da war gut Hochzeit halten! Und wenn die Dirn fein
verschwiegen geblieben ist, so ist ihr Wunderknäuel
unerschöpflich geblieben, bis auf
den heutigen Tag.




Karl Paetow, Die Herrin vom Rosengarten. In: Frau Holle: Märchen und Sagen, S. 53 - 55
































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