wischen
dem Thüringer Wald und dem Harzgebirge lehnte an einem
Hügelhang der Hof eines gottesfürchtigen Bauern. Als
nun
wieder einmal das runde Jahr in die zwölf Nächte
mündete, schlich sich der Jungbauer, so wie er dies von seinem
verstorbenen Vater gesehen hatte, heimlich hinaus auf den Acker und
machte die Runde durch seinen Garten. Er
schüttelte den
Apfelbaum, er rüttelte den Birnbaum und sprach dazu den alten
Spruch, den sein Ahne schon sprach:
"Bäumchen,
wach auf,
Frau Holle kommt!"
Da vernahm er ein Rauschen im Gezweig, und ein Schauer rieselte herab
durch den ganzen Baum, vom Wipfel bis zur Wurzel. Und es wehte im Winde
heran wie Flügelschlag, und Frau Holle
erschien im
Federkleid einer weißen Taube. Sie schwebte über
die verschlossenen Knospen der Krone,
kreiste dann um den ganzen alten Garten und breitete ihre singenden
Schwingen weit über das wellige Ackerland aus. Und wo sie
flog,
da senkte sich ein Segen nieder auf das Gefild, sank in die
schlummernden Wurzeln und Knollen unter den schneebedeckten Schollen,
auf daß sie wieder fruchtbar würden und Keime
lockten im
kommenden Jahr.
Federzeichnung: Gisela Heller, 1955
mit freundlicher Genehmigung von Dr. Hanna Dose
Kulturhistorikerin und Leiterin des Museums
Der Bauer gewahrte auch ein goldenes Stühlchen an ihrem
Fuß.
Darauf setzte die Taube sich nieder, wenn sie die weite Reise
ermüdet hatte. Und wo sie Rast hielt, da sind dann im
nächsten Frühjahr die schönsten Blumen und
Stauden
gewachsen, als wäre dort ein
umhegter Garten.
So
wußte denn jener Bauer: in dieser Stunde hat Frau
Holle
wieder
Umzug gehalten und hat die alte Erde
gesegnet mit Strunk und Staude,
mit Strauch
und Baum für das kommende Jahr.
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Karl Paetow, Die Taube mit dem goldenen Stühlchen. In: Frau
Holle, Märchen und Sagen, S. 87 - 88
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