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Knaben hatten sich im Eifer der Jugend bis in die Ruinen einer
Ritterburg hinaufgespielt und suchten dort zwischen Brombeerranken und
moosigen Trümmern ihr Versteck. Noch atemlos vom Aufstieg
entdeckten sie eine eisenbeschlagene Pforte unter einer
halbverschütteten Treppe, nahmen sich ein Herz und
hängten sich an die schwere Klinke. Knarrend wich die
Türe ihrem vereinten Druck, und indem sich ihnen das fette
Netz einer Spinne über Gesicht und Haare klebte, traten sie
beklommenen Mutes in den dämmrigen Raum. Hier fanden sie alles
so überraschend niedlich und wohlgeordnet, von der dunklen
Holzdecke bis zu den Truhen, steifen Stühlen und bunten
Fensterscheiben, daß sie auch beim Anblick der Frau,
die weißgekleidet am Spinnrad saß, das Graulen
vergaßen.
Die Gestalt winkte sie freundlich heran, fragte nach ihren Eltern,
wobei sie mitleidig kopfnickte, als sie vom frühen Tode des
Vaters hörte. Denn die Knaben waren Söhne einer armen
Witwe. Zutraulich erzählten sie von der häuslichen
Armut und von dem fleißigen Tagwerk der Mutter, von Schule,
Dorf und ihren kleinen Abenteuern, daß die Alte so recht ihre
Freude hatte. So schenkte sie denn jedem zum Abschied eine Handvoll
Flachsknotten, strich ihnen über die blonden Schöpfe
und entließ sie mit freundlichem Gruß.
Es war spät geworden und die Mutter hatte schon
sorgen voll in der Haustür gestanden, als endlich die
Jungen, noch ganz erfüllt von dem Erlebnis im
Stübchen, ihr schmeichelnd und kosend um den Hals fielen. Sie
erzählten ihr das Unfaßbare und zeigten die
schönen Samenknöpfe. Die Mutter ahnte gleich, welche
Bewandtnis es mit diesen Gaben hatte, und verschloß dieses
Geschenk der Frau Holle in ihrer Lade. Aber, o Wunder der
Sage! Am kommenden Morgen waren die Knotten den gläubigen
Herzen in lauter blanke Dukaten verwandelt. So arm sie auch war, dies
Geld legte die treue Frau auf die hohe Kante, denn ihre Jungen sollten
einmal was Rechtes damit beginnen.
Solcherart hatten die Brüder ein gleiches Geschick. Aber sie
waren doch allzu verschieden geartet. Der Ältere strebte einem
ehrsamen Handwerk zu und lernte mit Fleiß die Geheimnisse
seiner Kunst dem Meister ab. Der Jüngere machte sich lieber
bequeme Tage. So kam die Zeit der Wanderschaft heran. Der
Ältere ließ sein Vermögen zuhause in
Mutters Kasten, tat sich fleißig um in der Welt, lernte noch
manchen Kunstgriff dazu, war strebsam und sparsam und kehrte drei Jahre
später geachtet als Meister zurück.
Der jüngere Bruder zog auch in die Welt, steckte das
Hollengold in die Tasche, lebte auf großem Fuß und
hatte es bald in lustiger Kumpanei vertan. Als er nun unbelehrt
zurückkam, dachte er: "Gleich gehst du wieder ins
Schicksalsstübchen und holst dir Nachschub", lief auf den
Burgberg, suchte in allen Winkeln die verborgene Kammer, rief nach der
Spinnerin und wollte und wollte nicht unbeschert weichen. Als er aber
so gar nicht nachließ mit seinem Bettelgeschrei, knallte ihm
- patsch! - eine Backpfeife in das Gesicht, daß ihm alle
Sinne vergingen und er gleich den Abhang hinunter kullerte.
Zuhause
erschien ein roter Fleck auf der geschlagenen Wange, der wollte vor
keiner Seifenlauge vergehen und hat sich durch
ihn auch auf Kinder und Kindeskinder vererbt
als ein Zeichen der Torheit.
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Karl Paetow,
'Frau
Holle' - Märchen und Sagen S. 16 - 17
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