Im Reich der Frau Holle

Annette Rath-Beckmann
Historikerin | Matriarchatsforscherin

Der Frauenwagen



hr habt nun gehört, was an seltsamen Dingen sich in den heiligen Zwölften alles begab. Da schritt auch ein Bauer, die Axt auf der Achsel, dem Hochwald zu. Und in den Bergen sangen die wilden Vögel wie  im Mai. Der Mann, der da heimwärts stapfte, lauschte verwundert den lieblichen Lie­dern und war zufrieden in seinem Gemüte, wenn er den fleißigen Wintertag überdachte, den er vollendet, und seinen Feierabend, dem er entgegenschritt. Denn zuhause erwartete ihn schon sein junges Weib mit dem erstgeborenen Knäblein. Und besaß er auch nur in seiner Armut "zehn Morgen Wind hinterm Haus", wie der Nachbar im Spott sich vermaß, so war es doch hell in seinem Gemüt, so hell wie eben unter seinen Sohlen. Da glitzerte der kristallene Neuschnee vom silbernen Mond. Als er so in den Wald eintrat und nach Hause dachte, stieß er wie ungefähr mit dem  linken Fuß an eine knollige Wurzel, die unter dem Schnee verborgen lag. Und alsbald erhob sich der Nachtwind aus einer Schlucht. Der hob ihn auf wie mit Flügeln auf seinem Pfad, blähte wie Segel des Wanderers Kleider  und entrückte ihn ganz. Nur mühsam vermochte der Mann sich auf Weg und Wirklichkeit zu besinnen, denn der ganze Wald schien im Wandel der Weihnacht. Alle Bäume hatten ein Licht aufgesteckt, ein großes die großen, ein kleines die kleinen und es leuchtete von all diesen Scheinen, als reihe sich Stern zu Stern. Immer dichter wuchs das Holz im Entschweben, immer heller der dämmernde Zauberschein, der den Mann so verwirrte. Und es mutete ihn an, als wüchsen alle Bäume aus einer gewaltigen Wurzel, und als wäre der ganze Wald nur ein einziger mächtiger Baum.

Da schnob es heran wie mit Rossen des Sturmwinds, davor sich alle Kronen beugten, und die wehenden Lichter wichen vor einem Wagen, den aus der klingenden Feme zwei dampfende Schimmel zur Stelle brachten.
In dem zierlichen Wagenkasten saß eine weiße Frau, die spann einen langen Faden, und ihre goldene Spindel tanzte weit unten im Grund. Aber wie eine schwere Woge am Ufer aufsteigt und stockt, so verhielten die Hufe plötzlich den donnernden Lauf, und der Wagen stand.

"Du kommst mir daher wie geheißen!" beugte die Spinnerin sich dem Bauern entgegen. "Nimm schnell dein Handbeil und verkeile mir meinen Wagen. Aber gib acht, daß der Nagel aus bestem Kernholz sei. Denn Himmel und Erde muß er in heißer Nabe zusammenhalten. Und wenn er bricht, zerfällt die Welt. Drum eile dich und richte gut. Am kleinsten Werk  hängt die Ordnung der größten Dinge!''

Alsbald warf der Mann die Barte von seiner Schulter, kniete nieder und betrachtete diesen Schaden. Der Keilbolzen am linken Rad war zersplittert, das Rad in Gefahr auszuscheren. Dann blickte er auf zu der vornehmen Spinnerin und sprach: "Wer schnell hilft, hilft doppelt!"

Ohne Zögern hieb er ein kerniges Bäumchen um, hieb es zurecht, daß Spratten und Späne nur so flogen, und fertigte einen kräftigen Keil daraus. Dann schlug er diesen vor die Nabe und versplintete ihn mit aller Kunst. Zum Schluß richtete er noch die Deichsel, ruckte das Pferdegeschirr zu­ recht und schon rissen die Rosse an den goldenen Ketten, schnoben und brausten dahin.

"Die Späne nimm,
Dein Lohn steckt drin!"

hörte er die Wagenlenkerin noch rufen, dann war alles, Frau und Wagen, in der dämmernden Lichtnacht dieses Zauberwaldes versunken. Im saugenden Nachwind stäubten die Flocken vom Schnee.

Nachdenklich schlug der Mann seinen Kragen hoch und warf das Beil wieder über. Dann trabte er heimwärts und achtete der Späne, die da umherlagen, nicht mehr als der fliegenden Flocken. Es verdroß ihn nur ein wenig, daß die vornehme Frau nach so hohen Worten mit lumpigem Abfall bezahlen wollte. Indem er dem Sinn der Begegnung noch nachhing, drückten ihn seine Schuhe und es schmerzte ihn etwas Kantiges an den Fersen, daß er sich schließlich auf einem Stubben niederließ. Da saß er denn und zog sich die Schuhe vom Fuß und stülpte sie um. Wie er sie wieder anzog, so blinkerten zwei ansehnliche Häufchen von Spänen im Schnee. Die gleißten im Mondlicht wie eitel Gold und wogen gleich guten gediegenen Gulden. Da erkannte der Zimmermann an der kostbaren Löhnung, daß es Frau Holles Wagen gewesen war, den er verkeilt und gerichtet hatte.

Mit frohem Gemüt trat er dann in die Hütte zu Weib und Kind und brachte mit sich die holde Mär von Frau Holles Umfahrt und legte den kleinen Goldschatz der Hausmutter in den Schoß. Den Bescheidenen hat es zu einem stillen Wohl­ stand schon zugereicht, und was der Mann von nun ab in seine Hände nahm, das wuchs und gedieh ihm zum Segen. So ward er denn inne der Weisheit, daß Himmel und Erde hängen am ehrlichen Tagwerk des Menschen.

Zu dieser nämlichen Zeit aber lebte im selben Dorfe ein junger Fant. Der hatte von jener Begegnung gehört und von dem, was der andere versäumte. Er dünkte sich aber neunmal klüger, wie dies eben Narren so oft vermeinen, kreidete sich den bewußten Tag im Kalender wohl an und schlenderte im nächsten Jahr mit der Axt durch das nämliche Waldstück. Und wieder fuhr Frau Holle daher mit ihrem Gefährt. Sie beugte sich über die Brüstung und fragte barsch den Unberufenen, zu welchen Geschäften er komme. Dem schlackerten schon längst alle Glieder, und er stotterte mühsam sein Sprüchlein vom Beil, vom Wagenkeil und der goldenen Löhnung.

Zürnte Frau Holle: "Bin eben selbst mit Werkzeug versehen, und meine Axt liegt griffbereit. Weil du aber aus Habsucht dein Beil anbietest, sollst du auch durch das Beil deinen Lohn bekommen." Sprachs und schlug ihm die Barte in seine Schulter, daß Brust und Rückgrat zusammenklappten und hinten wie vorne ein mächtiger Buckel den Wuchs zerbrach. Schon rissen die Rosse am Geschirr, und Weib und Wagen verwehten im Dunst der Feme. Der Bursche aber trug entsetzt seine Ungestalt als Zeichen der Schuld nach Hause.

Als es dann nachmals auf Weihnachten ging und der Verwachsene seine ungebührliche Habsucht ehrlich durchdacht und bereut hatte, riet ihm der glücklichere Zimmermann, noch einmal die Hilfe der zürnenden Frau mit lauterem Herzen zu erbitten. So zog er denn wieder auf jenen besagten Abend dem Walde zu.

Da fuhr Frau Holle abermals vor, und wieder zügelte sie ihre Rosse, neigte sich über und fragte nach seinen Geschäften. Der Knecht wies ihr seine Ungestalt und klagte sich ehrlich an, daß er durch Habgier und Aberwitz die edle Frau vorjahrs beleidigt und aufgebracht hätte.

Da hob Frau Holle den Finger und lächelte: "Wisse, nicht mich hast du damals beleidigt, sondern dich selbst. Ich besinne mich wohl. Vor einem Jahr hieb ich an dieser Stelle mein Beil in einen gar groben Klotz. Der Klotz ist geblieben, der Grobian ist geschieden. So will ich das Beil denn dem Klotz entreißen."

Kaum gesagt, so stand der Knecht wieder glatt und schlank nach dem Wuchs seiner jungen Gestalt im Wald der Frau Holle. Als er sich aber des Glückes besann und seinen Dank sagen wollte, da war die Erscheinung schon erloschen. 

Und wenn auch keine goldenen Späne mehr für ihn abfallen wollten, so trug er doch das schönste Geschenk mit
nach Hause, einen gesunden und stracken Leib,
wie ihn Gott einst erschaffen und gewollt hatte.




Karl Paetow, Der Frauenwagen. In:Frau Holle:
Märchen und Sagen, S. 91 -95

































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