Im Reich der Frau Holle









Annette Rath-Beckmann
Historikerin | Matriarchatsforscherin

Holle: Ursprung



Wer ist sie, und wer war sie, diese Frau Holle? Für Jacob Grimm ist die Antwort eindeutig: eine germanische Göttin, die nicht auf einen speziellen 'Aufgabenbereich' festgelegt werden kann und die dieselben Züge trägt wie die nordische Freyja
(die fälschlicherweise oftmals gleichgesetzt wird mit Frigga, der Göttergattin und Ehefrau Wodans) und wie die süddeutsche, alpenländische Percht(a) und teils wie die antike Diana (Artemis).

vgl. Jacob Grimm, Deutsche Mythologie; Bd I, Kap. XIII; S. 220-234. Nachdruck der 4. Aufl. 1837, Akademische Druck- und Verlagsanstalt Graz, 1968


Jacob Grimm schreibt über Holle und Percht folgendes:

"Ich will hier die Züge zusammenstellen, die unverkennbar Holda und Bertha [Percht] in diesem Lichte erscheinen lassen. Sie ziehen auf Wagen einher gleich der Mutter Erde und begünstigen Ackerbau und Schifffahrt unter den Menschen ... beiden liegt Spinnen und Weben an ... In ihrem Heer finden sich die Seelen kleiner Kinder, wie sie über Elben und Zwergen herrschen, aber auch Nachtfrauen und Zauberinnen folgen ihrem Geleite."

Jacob Grimm, Deutsche Mythologie, S. 234


Erika Timm, emeritierte Germanistin an der Universität Trier,

"schloss sich der Grimmschen und Göttner-Abendrothschen Auffassung zwar weitgehend an, jedoch mit einem viel breiteren Forschungsansatz: in einer 2003 erstmalig erschienenen Veröffentlichung hat sie die deutsche Holle-Forschung mit Hilfe von historischen Belegen, Sprachforschung und anderen Methoden auf eine neue Basis gestellt ...

Sie (Erika Timm) gelangte immer mehr zu der Überzeugung, Jacob Grimm habe im Großen und Ganzen mit seiner Auffassung Recht, daß Frau Holle und ihre verwandten Gestalten wohl doch vorchristlichen Ursprungs sind. In jahrelanger Arbeit rang Erika Timm sich zu der damals (2003) wie heute (2010) sehr unmodernen Einsicht durch, daß der Hauptstrang der Nach-Grimmschen Forschung als ein 'kleinmütiger Irrweg' anzusehen ist."

Andrea Jakob, Wer war Frau Holle?: In: Frau Holle: Mythos, Märchen und Brauch in Thüringen. Textband zur gleichnamigen Ausstellung an den Meininger Museen
vom 11. 11. 2009 bis 2. 5. 2010, Meiningen, 2010, S. 77 / 78


Laut Erika Timm gibt es insgesamt elf mittelalterliche Handschriften-Belege, die den Holle-Namen (mit Varianten wie Holda, Hulda) oder die entsprechenden Namen ihrer 'verwandten Gestalten' (Percht, Diana) enthalten.

vgl. Erika Timm, Frau Holle, Frau Percht und verwandte Gestalten, 2. Aufl. Stuttgart, 2010, S. 14-26

Einer dieser Handschriften-Belege, die zwischen 1235 und 1250 entstandenen Aufzeichnungen eines Zisterziensermönchs namens Rudolf 'Summa fratris Rudolfi de confessionis discretione' (Handschrift in der UB Breslau, I.Q. 160 sowie in der UB Leipzig CLP 639), ist inhaltlich besonders interessant, weist er doch auf die von Paetow gesammelte Mythe des Tisch-Deckens für Frau Holle in den Rauhnächten hin.

vgl. Karl Paetow, Die ausgeblasenen Lichtlein. In: Frau Holle: Märchen und Sagen, S. 109-113)


In der Handschrift heißt es:

"Gewisse Frauen treiben, um glücklich zu werden und in weltlichen Dingen Erfolg zu haben, gottverhaßte Phantastereien: In der Weihnachtsnacht decken sie den Tisch für die Himmelskönigin die das Volk Frau Holle nennt - damit sie ihnen helfe."

Erika Timm, Frau Holle, Frau Percht und verwandte Gestalten, 2. Aufl., Stuttgart, 2010,
S. 21


Diese Aussage weist auf einen im beginnenden 13. Jahrhundert immer noch bestehenden Holle-Kult hin, der allerdings kirchlicherseits argwöhnisch beäugt und verurteilt wurde.

Dieser und weitere mittelalterliche Belege untermauern die These, dass es sich bei der Frau Holle, wie es schon Jacob Grimm feststellte, um eine vorchristliche Göttin 'aus der Tiefe der Zeit' handelt.


































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