Die Mai-Feiern und der goldene Sonntag
Vom Vorabend des 1. Mai bis zur Sommersonnenwende feierte die
Göttin ihre alljährliche Hoch-Zeit, in der
frühen
Geschichte der matriarchalen Gesellschaften mit den Elementen, vor
allem
mit dem Wind,
später mit ihrem Heros,
ihrem männlichen Partner, der sie als Sohn und Geliebter,
später als Junker Tod durch ihr magisches Jahr
begleitete.
"In
der Nacht vor dem ersten Maitag verließ Frau Holle ihren
immergrünen Garten und stieg aus der Tiefe der Anderswelt
durch
ihren Teich auf den Weißner hinauf ... Es ging diesmal zur
Südseite der Hochfläche, dorthin, wo Frau Holles
Thron steht,
ein Sessel aus blauem Basalt, sanft gehöhlt und mit hoher
Lehne
... Frau Holda (so nannte sich die Göttin in dieser
Jahreszeit) zog einen goldenen Kamm aus ihrem Gürtel
und
begann ihre Haare zu strählen ... Frau Holda sang und fing in
ihren Haaren die Himmelsbläue ein ... dann kämmte sie
ihre
Haare der Erde zu, daß sie wogten und wallten wie die
Ähren
auf den Feldern, wenn der Wind hindurchstreicht, und der Himmel kam in
Gestalt des Windes herab und wand sich liebevoll um die
schönen
Glieder der Göttin ... Niemand kann sagen, wie lange die
Vermählung zwischen Himmel und Erde dauert ...
Es war schon der erste Sonntag nach Pfingsten, den die Menschen den Goldenen Sonntag
nannten, als vom nördlichen Ende des Plateaus auf dem
Weißner, von seiner höchsten Kuppe lautes Lachen und
Musizieren erklang. Dort lag der Festplatz für das Volk auf
Frau
Holles heiligem Berg. Eine große Schar junger Leute war an
diesem
Tag aus allen Dörfern der Umgebung auf den Weißner
gepilgert, junge Frauen und Männer in ihrer besten Tracht ...
Sie
lachten und sangen, schwenkten sich im Reigen, um mit ihrem Tanz Frau
Holdas Hochzeit zu ehren. Werbende Blicke warfen die jungen Frauen, von
einladendem Lächeln begleitet. Die erwählten Burschen
brachten kleine Geschenke, wenn sie einverstanden waren. So wurden die
Bande geknüpft, die für dieses Jahr dauern
würden, bis
zum nächsten Holda-Fest auf dem Weißner."
Heide Göttner-Abendroth, Frau Holle und
das Feenvolk der Dolomiten, S. 27-29
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Diese
Feiern der Hoch-Zeit
der Holda zeichneten sich u.a. dadurch aus, dass die
jungen Frauen ihren Liebespartner wissen ließen, dass er
'gemeint' war, so wie
es auch heute noch bei dem weitgehend matriarchal lebenden Volk der
Mosuo in
Südwestchina geschieht.
Von diesen Feiern des Lebens und der Liebe sind nur noch
einige Reminiszenzen geblieben wie möglicherweise die
'Salat-Kirmes' in Germerode,
der 'Tanz in de Mai' und das Aufstellen des Maibaums (Kranz und Stange
als
Symbole der sexuellen Vereinigung) sowie mancherorts auch die
Sommersonn- wendfeiern mit Tanz um das Feuer.
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